Nachhaltige Baustoffe im europäischen Bau – Von Hanfbeton bis selbstheilendem Beton

Von natürlichen Lösungen wie Hanfkalk bis hin zu Hightech-Materialien wie selbstheilendem Beton zeigen sie das Potenzial für ressourcenschonendes, langlebiges und klimasensibles Bauen der Zukunft.

BAUINGENIEURWESEN

Fahim Linkon

7/12/20253 min lesen

Mal ehrlich – Beton, Stahl und Ziegel haben uns jahrzehntelang treue Dienste geleistet. Aber jetzt, wo wir im Bauwesen in Europa immer stärker auf Nachhaltigkeit setzen, verändert sich auch das Material, mit dem wir bauen. Von Wänden aus Hanf bis hin zu Beton, der sich selbst repariert – die Zukunft sieht nicht nur grün aus, sondern auch ziemlich smart.

Der Wandel hin zur Nachhaltigkeit

In Europa wird der CO₂-Ausstoß im Bausektor aktiv reduziert – und dabei stehen Baustoffe im Mittelpunkt. Deutschland geht hier mit gutem Beispiel voran. Bauvorschriften wie die DIN 18915 (für Grünflächen) und DIN EN 206 (für Beton) fördern langlebige und umweltfreundliche Lösungen. Im Rahmen des European Green Deal gibt es zudem viel Rückenwind für Materialien mit niedriger CO₂-Bilanz.

Mein Baustellen-Alltag in Bangladesch

Bevor wir tiefer einsteigen, kurz ein Einblick aus meiner Praxis: Ich habe mal als Bauleiter an einem fünfstöckigen Gebäude in Bangladesch gearbeitet. Ich war mitten drin – Bewehrung prüfen, Betonieren überwachen, Aushärtungspläne checken, und natürlich jede Menge Stress mit verspäteten Lieferungen. Eine Sache ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: wie viel Material verschwendet wurde – und wie wenig wir über Nachhaltigkeit nachgedacht haben.

Heute denke ich mir: Hätten wir schon damals modulare Systeme oder CO₂-reduzierte Betonsorten gehabt, hätten wir viel Zeit, Geld und Nerven gespart.

Hanfbeton – Altes Kraut, neue Technik

Ja, genau – Hanf. Hanfbeton besteht aus dem holzigen Kern der Hanfpflanze, vermischt mit Kalk und Wasser. Das Ergebnis ist leicht, atmungsaktiv und wirkt als natürlicher Isolator. In Frankreich und auch in Teilen Deutschlands wird das Material bereits in ökologischen Wohnprojekten eingesetzt.

Es trägt zwar keine Lasten, ist aber ideal für nicht-tragende Wände und Dämmung. Und weil es beim Aushärten CO₂ bindet, kann es sogar negativ zur CO₂-Bilanz beitragen. Natürlich muss die Tragstruktur weiterhin den Regeln der DIN 1052 (Holzbauten) oder dem Eurocode 6 (Mauerwerksbau) folgen.

Recyclingbeton & Kreislaufwirtschaft

Recyclingbeton wird in Europa immer populärer. In Deutschland regelt die DIN 4226 den Einsatz von Recycling-Gesteinskörnungen – und viele Bauunternehmen setzen vermehrt auf Abrissmaterial als Rohstoff für neue Mischungen.

Beispiel gefällig? Die Firma HeidelbergCement produziert heute CO₂-neutralen Beton mithilfe von Recyclingmaterialien und CO₂-Abscheidung. All das im Rahmen der EN 206 und moderner Nachhaltigkeitsstandards.

Selbstheilender Beton – klingt nach Science-Fiction?

Ist aber Realität! Ingenieur:innen in Europa entwickeln Beton, der feine Risse selbstständig repariert – mithilfe von Bakterien (meist Bacillus-Arten). Sobald Wasser in einen Riss eindringt, produzieren die Mikroorganismen Kalkstein – der die Lücke wieder schließt.

In den Niederlanden und Belgien laufen bereits erste Projekte mit Brücken und Gehwegen aus selbstheilendem Beton. Auch in Deutschland gibt es erste Pilotprojekte unter der DIN 1045-2, die sehr vielversprechend sind.

Comeback des Holzes – jetzt in Hightech

Brettsperrholz (CLT) und Brettschichtholz (Glulam) erleben einen regelrechten Boom – vor allem in Österreich, Deutschland und Skandinavien. Diese Holzarten sind stark, leicht und vor allem erneuerbar. Die DIN EN 14080 sorgt dabei für die nötige Sicherheit.

Der HoHo Tower in Wien (24 Stockwerke, 80 % Holzanteil) ist das perfekte Beispiel. Dank Brandschutzmaßnahmen gemäß DIN 4102 geht Holzbau heute sogar in die Höhe.

Die Praxis bleibt anspruchsvoll

Klingt alles super – aber auf der Baustelle sieht’s oft anders aus:

  • Kosten: Neue Materialien sind erstmal teurer.

  • Regelwerke: Nicht alle Innovationen sind schon in Normen erfasst.

  • Wissen: Die Baukolonnen müssen erst geschult werden.

Wenn mir damals jemand auf der Baustelle in Bangladesch einen Hanfbetonblock gezeigt oder was von „Bakterienbeton“ erzählt hätte – ich hätte vermutlich nur gelacht. Heute sehe ich: Europa geht den richtigen Weg. Nachhaltiges Bauen ist hier nicht nur ein Trend, sondern basiert auf Standards, Forschung und echtem Willen zur Veränderung.

Fazit

Nachhaltige Baustoffe sind keine Spielerei. Deutschland zeigt, wie man technische Präzision mit ökologischer Innovation kombinieren kann. Für Leute wie mich, die den Baustellenalltag kennen – Beton anrühren, Lieferengpässe managen – ist diese Entwicklung mehr als willkommen.

Quellen

  1. DIN EN 206: Beton – Festlegungen, Eigenschaften, Herstellung und Konformität

  2. DIN 4226: Gesteinskörnungen für Beton

  3. DIN 1045-2: Beton- und Stahlbetonbau – Teil 2: Beton – Festlegungen, Eigenschaften, Herstellung und Konformität

  4. DIN 1052: Bemessung und Konstruktion von Holzbauwerken

  5. DIN EN 14080: Brettschichtholz

  6. DIN 4102: Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen

  7. European Green Deal – Europäische Kommission

  8. HeidelbergCement – Innovationen für CO₂-neutralen Beton

  9. Smart Circular Construction – Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)